„In der Informatik müssen wir uns immer in der Verantwortung sehen, die Nutzenden und ihre Daten zu schützen.”
19. Februar 2025
Lesedauer:
6 Minuten
Christine Regitz ist Präsidentin der Gesellschaft für Informatik e. V. (GI). Die GI ist mit mehr als 17.000 persönlichen und 250 korporativen Mitgliedern die größte und wichtigste Fachgesellschaft für Informatik im deutschsprachigen Raum. Frau Regitz engagiert sich aktiv für Diversität und Chancengleichheit in der IT. Bei SAP SE verantwortet sie als Head of Women In Tech@SAP strategische Initiativen zur Förderung von Frauen in der Technologiebranche.
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Frau Regitz, Sie setzen sich für eine digitale Transformation ein, die auch tatsächlich gesellschaftlich funktioniert. Für einen hochentwickelten Standort wie Deutschland ist es „Common sense“, dass wir bei der Digitalisierung international wettbewerbsfähig bleiben und uns entsprechend aufstellen. Welche Schwerpunkte müssen hierbei aus Ihrer Sicht gesetzt werden?
Für mich beginnt die digitale Transformation ganz früh: Informatische Bildung vermittelt neuen Generationen nicht nur eine Reihe von Skills, um in der zunehmend digitalen Welt zu bestehen. Sie ist auch ein Schlüsselfaktor für den Erfolg unseres Innovationsstandorts. Ein weiterer Schwerpunkt ist Diversität: Ohne sie schaffen wir den digitalen Wandel in Deutschland nicht. Diversität umfasst für mich nicht ausschließlich die Förderung von Frauen im Technologiebereich. Innovation entsteht dann, wenn Menschen mit unterschiedlichen Lebensläufen und Ausbildungswegen zusammenkommen und ihre Perspektiven und Problemstellungen mit einbringen. Um nicht noch stärker von anderen Ländern abgehängt zu werden, müssen außerdem jetzt die richtigen Weichen in Wirtschaft, Forschung und Politik gestellt werden. Digitalisierung muss in Schulen, Unternehmen und Politik Priorität haben, die Verwaltung muss zukunftssicher digitalisiert werden und es braucht ein Digitalministerium, dass sich für die Verbindung all dieser Themen einsetzt.
Smart Living hat das Potenzial, viele gesellschaftliche Herausforderungen zu adressieren, von der alternden Bevölkerung bis hin zur Klimakrise. Wenn Sie Ihrer Fantasie freien Lauf lassen: Wie stellen Sie sich die perfekte Smart-Living-Umgebung im Jahr 2035 vor? Was sollte im Wohnumfeld alles digitalisiert sein?
Meine Idealvorstellung einer Smart-Living-Umgebung ist keine, die nur mit Komfort überzeugt: Ich denke an Smart Energy und an Konzepte, die uns erlauben, den eigenen produzierten Strom perfekt selbst zu verwerten. Ich denke auch an Gebäude, deren Klimaeffizienz dank intelligenter Vernetzung gesteigert wird. Auch in der Pflege und Medizin lassen sich smarte Lösungen einsetzen, um prekäre Bedingungen zu verbessern: Hier können digitale Pflegeunterstützung oder Innovationen der Gehirn-Computer-Schnittstellen helfen, Einschränkungen unserer Kommunikationsfähigkeit zu überwinden. Aber: Die visionärsten digitalen Lösungen sind nur so gut wie sie auch sicher sind. IT-Sicherheit muss immer eine Priorität bleiben. In der Informatik müssen wir uns immer in der Verantwortung sehen, die Nutzenden und ihre Daten zu schützen.
Smart-Living-Anwendungen werden ja von allen genutzt. Gebäudetechnik hat aber eher den Ruf einer Männerdomäne. Wie kriegen wir daher mehr Frauen in die Gebäudetechnik? Was kann die Branche tun, um mehr Frauen zu begeistern und vor allem bei digitalen Services, um die es beim Projekt SmartLivingNEXT geht, auch mehr den weiblichen Blickwinkel einzunehmen?
Mir ist es wichtig, das Fach Informatik in all seiner Vielfalt zu stärken. Bisher wird es oft noch viel zu eng gesehen. In der Gebäudetechnik kommen Architektur, Bauingenieurwesen, Elektrotechnik und Informatik zusammen. Es gibt derzeit viele Bindestrich-Fächer, die noch zu wenig Erwähnung finden und gerade bei Frauen in der Studien- und Berufswahl sehr beliebt sind. Es ist wichtig, klarzumachen, dass die Tech-Branche eine moderne, junge und zukunftsfähige Branche ist, die spannende Themen und viele verschiedene Berufsbilder und Berufsfelder bietet. Natürlich ist das Thema Bildung insgesamt wichtig. Informatik sollte standardmäßig in der Schule gelehrt werden, bundesweit und verpflichtend – je früher, desto besser. So können wir die Mädchen viel besser erreichen und für das Fach begeistern. Zum Glück ist es nicht der Fall, dass sich in diesen „Männerdomänen“ wirklich nur Männer bewegen und auskennen. Es gibt in der Wissenschaft und Wirtschaft viele Frauen, die eine Leidenschaft und ein Talent für Digitales haben – nur werden diese viel zu oft nicht als ebenbürtig angesehen. Frauen in diesen Feldern sollten nicht nur als wertvolle Spezialistinnen, sondern auch als Vorbilder für neue Generationen anerkannt werden.
Abschließend, Frau Regitz: Welche zentralen Botschaften möchten Sie den Akteurinnen und Akteuren von SmartLivingNEXT mit auf den Weg geben, um die digitale Transformation unserer Wohn- und Lebensumgebungen erfolgreich in die Praxis umzusetzen? Was ist hierzu ihrer Meinung nach besonders wichtig, wo sollten die Prioritäten liegen?
Die oberste Priorität sollten immer die Nutzenden bleiben. Nicht nur ihre Interessen und Wünsche: Der Schutz ihrer persönlichen Daten und der Erhalt ihrer Selbstbestimmung müssen bei der digitalen Transformation im Mittelpunkt stehen. Mit diesen Werten im Fokus sollten neue Konzepte entwickelt und erprobt werden. Aber es ist auch an uns, neue Technologien in der breiten Gesellschaft begreifbar zu machen, und somit auch für Ethik in der Informatik weiter zu sensibilisieren. Menschen können nur dann informierte Entscheidungen treffen, wenn sie Kompetenz und Wissen über die Optionen haben sowie ein Umfeld, das die Wahl auch erlaubt. Digitale Bildung sowie Transparenz in allen Stufen der digitalen Transformation sind deshalb essenziell.
Frau Regitz, wir danken Ihnen für das angenehme Gespräch!
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Ilka
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