„Europa hat das Know-how, die Technologien und gut ausgebildete Fachkräfte, um digitale Souveränität aufzubauen.“
30. April 2025
Lesedauer:
8 Minuten
Die digitale Souveränität Deutschlands und Europas erhält durch aktuelle weltpolitische Ereignisse neue Relevanz – besonders bei der Digitalisierung kritischer Infrastrukturen (KRITIS). Auch in Wohngebäuden entstehen täglich wichtige und sensible Daten. Im Interview erläutert Michael Schidlack, Principal Researcher bei der Forschungsvereinigung Elektrotechnik (FE) beim ZVEI e. V. und Konsortialleiter im SmartLivingNEXT Leitprojekt, wie wichtig Datensouveränität für Europa ist und welche Rolle dabei SmartLivingNEXT spielt.

Herr Schidlack, die Souveränität Deutschlands und Europas erhält durch die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen wie die derzeitige Unsicherheit um das transatlantische Datenschutzabkommen neue Relevanz. Wie würden Sie diese Entwicklung in Bezug auf das Forschungsprojekt SmartLivingNEXT einordnen?
Die weltpolitischen Entwicklungen, insbesondere zusätzlich jetzt noch die Unsicherheiten um das transatlantische Datenschutzabkommen, unterstreichen die Bedeutung von Forschungsprojekten wie SmartLivingNEXT, die auf europäische Datensouveränität abzielen. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit 25 Millionen Euro geförderte Technologieprogramm zielt darauf ab, dass die Kontrolle über die Daten bei den Datenerzeugern und bei vertrauenswürdigen europäischen Organisationen bleiben. Durch den diskriminierungsfreien und sicheren Zugriff auf Daten reduziert die Technologie die Abhängigkeit von marktbeherrschenden Unternehmen aus dem nicht-europäischen Raum. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, Wertschöpfung in Deutschland zu halten und einen besonders sicheren Datenverkehr zu erzeugen. Unseres Wissens nimmt Deutschland bei der Digitalisierung von Wohngebäuden durch dieses Projekt eine besondere Vorreiterrolle ein. Die Einführung von SmartLivingNEXT markiert einen Meilenstein in der Entwicklung des nach europäischen Wertevorstellungen realisierten Smart-Living-Ökosystems und berücksichtigt in hohem Maße auch die Interessen der Bewohnerinnen und Bewohnern von Gebäuden.
Was genau bietet das Technologieprogramm SmartLivingNEXT als Lösung auf diese Probleme?
Unser neuartiger Konzeptansatz sieht vor, dass Daten in ihren jeweiligen Ursprungssystemen verbleiben und trotzdem auf einer logischen Ebene verknüpft werden können. Im Ergebnis können im Smart-Living-Ökosystem digitale Serviceanbieter und Hersteller physischer Komponenten durch Datenverknüpfung neue intelligente Anwendungen generieren. Ganz nebenbei entsteht damit eine Branchenlösung, die die Vorgaben des EU Data Acts erfüllt. Die geschieht, indem sie autorisierten Personen oder Organisatoren die Verwendung der in ihren Systemen generierten Daten für vorher festgelegte Zwecke erlauben.
Das Konzept sieht vor, dass Marktteilnehmende gleichberechtigt und diskriminierungsfrei vernetzt werden. Das bislang übliche Modell eines dominanten Plattformanbieters, dem sich alle anderen Teilnehmenden unterzuordnen haben, entfällt. Es entsteht ein skalierbares und niedrigschwelliges Angebot, sich als Anbieter oder Konsument von Daten oder Diensten einzubringen und davon zu profitieren. Die Teilnehmenden behalten dabei dauerhaft die Kontrolle über ihre Daten.
Gibt es neben dem Aspekt der europäischen Souveränität weitere Vorteile?
Wir schaffen durch SmartLivingNEXT eine Art nationalen Zugangspunkt zu allen relevanten Daten aus Wohngebäuden. Dies betrifft vor allem die Bereiche Energie, Wohnkomfort, Sicherheitslösungen, Wartung von Gebäudetechnik oder häusliche Pflege. Mit diesem einheitlichen Zugangspunkt können wesentlich effizientere digitale Services entstehen.
Mieter und Eigentümer von Wohngebäuden erhalten somit zusätzliche Services zur Verbesserung ihres Alltags, ihrer Gesundheit und Sicherheit sowie eine gesteigerte Lebensqualität und sie profitieren von Kosteneinsparungen durch Effizienzgewinne. Wohnungsanbieter können auf verbesserte Services zur Verwaltung und Instandhaltung der Gebäude zugreifen. Stadtwerke, Kommunen und externe Dienstleister wie Pflegekräfte profitieren von einer erhöhten Transparenz über tatsächliche Verlaufs- und Verbrauchsdaten, was ihre Prozesse effizienter gestaltet und zu weiteren Kosteneinsparungen führt. Die Akzeptanz bei Endnutzern wird durch die Einhaltung datenschutzrechtlicher Anforderungen sichergestellt. Ein nicht unwesentlicher Punkt ist, dass auch die Arbeit für Fachplaner und Handwerker erleichtert wird, da das Thema Interoperabilität verschiedener Systeme durch die Zusammenführung der Daten im Dataspace ein für alle Mal gelöst wird.
Viele Unternehmen schrecken vor einem Wechsel zurück, weil sie befürchten, dass europäische Lösungen weniger leistungsfähig sind. Wie sieht das bei SmartLivingNEXT aus?
Die Befürchtung, dass europäische Lösungen weniger leistungsfähig sein könnten, wird durch SmartLivingNEXT und dessen Partner klar widerlegt. Das Forschungsprojekt demonstriert, dass europäische Technologien nicht nur konkurrenzfähig, sondern auch zukunftsweisend sind. SmartLivingNEXT basiert auf modernsten Technologien. Es erschließt ein enormes Skalierungpotenzial für deutsche Unternehmen. Dass europäische Lösungen dabei nicht nur technisch überzeugen, sondern auch in der Praxis bestehen, zeigen die über unsere Satellitenprojekte bereits erfolgreich umgesetzten prototypischen Anwendungsbeispiele. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Offenheit des Systems: Das Projekt setzt konsequent auf die Nutzung offener Standards und eben gerade nicht auf propietäre Technologien.
Insgesamt zeigt sich mit SmartLivingNEXT: Europäische Lösungen sind leistungsfähig, zukunftsorientiert und nachhaltig. Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen, stärken nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit, sondern profitieren auch von einem sicheren, flexiblen und innovativen Datenökosystem.
Viele Unternehmen argumentieren, dass eine solche Unabhängigkeit schwer zu erreichen ist. Was entgegnen Sie darauf?
Natürlich ist es eine Herausforderung, aber sie ist lösbar. Europa hat das Know-how, die Technologien und gut ausgebildete Fachkräfte, um digitale Souveränität aufzubauen. Mit SmartLivingNEXT zeigen wir, dass es auch tatsächlich geht. Es bietet Unternehmen eine sichere Plattform, um ihre Technologien zu integrieren, ohne die Kontrolle über ihre Daten zu verlieren. Durch gezielte Förderung und innovative Lösungen wird die Abhängigkeit von marktbeherrschenden Plattformen reduziert und eine nachhaltige, wirtschaftlich tragfähige und vor allem resiliente Alternative geschaffen. Unternehmen, die jetzt auf solche Lösungen umsteigen, profitieren langfristig, sollten dies aber zeitnah in Angriff nehmen.
Ein weiterer Punkt, den Unternehmen oft anführen, ist das Thema Interoperabilität: Was unternimmt SmartLivingNEXT konkret, um eine nahtlose Integration sicherzustellen und Unternehmen den Einstieg beziehungsweise Umstieg zu erleichtern?
SmartLivingNEXT setzt auf offene Standards und eine für Wohnumgebungen geeignete Semantik sowie SENSE WoT. Das Ökosystem bietet einfach zu nutzende Konnektoren und KI-Basisdienste. Damit ermöglichen wir Unternehmen, ihre bestehenden Technologien beizubehalten und sie gleichzeitig nahtlos in das Ökosystem zu integrieren. Durch das Onboarding in den Dataspace mittels Blueprint und die Bereitstellung eines Open Source Repositories wird der Einstieg erleichtert und Interoperabilität sichergestellt. Das ist mehrfach bestätigt: unsere Partner berichten, dass die Anbindung an den Dataspace einfach ist.
Somit müssen Hersteller keine tiefgreifenden Veränderungen an ihren Systemen durchführen. Sie können ihre bisherigen technologischen Ansätze weiterverfolgen und sich trotzdem gegenüber neuen Services, die in diesem Ökosystem entstehen, öffnen. Es entsteht gleichsam ein Marktplatz für Daten, der sich über die bewährten Systeme legt.
Abschließend, Herr Schidlack: Glauben Sie, dass Europa mit Forschungsprojekten wie SmartLivingNEXT seine digitale Souveränität nachhaltig stärken kann und was kann die Wirtschaft dazu beitragen?
Eindeutig ja! Europa kann durch Projekte wie SmartLivingNEXT seine digitale Souveränität nachhaltig stärken und sich widerstandsfähig aufstellen. Die Wirtschaft kann durch Investitionen, die Entwicklung interoperabler Technologien und die aktive Nutzung solcher Plattformen dazu beitragen, europäische Werte wie Datenschutz und Datensouveränität zu sichern und die digitale Transformation voranzutreiben.
Redaktion:
Ilka
Klein
Kategorie:
Leitprojekt
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