„Die Digitalisierung der Immobilienbranche erfordert vernetzte, interoperable Systeme.”
5. November 2025
Lesedauer:
10 Minuten
Mit dem Ziel, die Dekarbonisierung im Gebäudesektor voranzubringen, liefert das Start-up metiundo Live-Daten zum Energie- und Wasserverbrauch für Immobilieneigentümer mit komplexen Gebäudestrukturen. Im Interview gibt Dennis Nasrun, CEO & Co-Founder von metiundo, Einblicke in die technologischen Herausforderungen smarter Gebäudelösungen und erklärt, warum eine umfassend integrierte Datenplattform der Schlüssel zum Erfolg ist und wie die Zusammenarbeit mit SmartLivingNEXT die Digitalisierung der Immobilienbranche vorantreibt.
Herr Nasrun, was war der Auslöser für die Gründung von metiundo?
Nach über zehn Jahren in der Energiebranche, unter anderem als Berater für Smart-Meter-Rollouts in Deutschland, Österreich und Großbritannien, kam ich zu dem Schluss: Es fehlt eine aus Kundenperspektive gedachte, multispartenfähige Lösung für die Immobilienwirtschaft, vor allem für komplexe Gebäudestrukturen wie Mehrfamilienhäuser und Gewerbeimmobilien. Diese machen schließlich einen Großteil der Immobilienwirtschaft aus. Die existierenden Systeme waren meist auf Einfamilienhäuser mit sehr einfachen Energieflüssen zugeschnitten und deckten Strom, Gas, Wärme und Wasser nicht integriert ab. Wir wollten das ändern. Und damit war metiundo geboren.
Wie sieht Ihre langfristige Vision für das Unternehmen aus, hier besonders im Hinblick auf die Digitalisierung der Immobilienbranche?
Unsere langfristige Vision ist es, metiundo ähnlich wie ein Betriebssystem für die neue Energiewelt im Gebäude zu etablieren. Denn die Digitalisierung der Immobilienbranche, insbesondere im Kontext der Energie- und Wärmewende und vor allem im Bestand, erfordert vernetzte, interoperable Systeme über alle Sparten anstelle isolierter Einzellösungen. Neue Energietechnologien bieten enormes Potenzial, um Stranded-Asset-Risiken in der Immobilienwirtschaft zu verringern. Gleichzeitig ermöglichen sie signifikante Kostensenkungen und zusätzliche Erlösquellen. Ihre Umsetzung ist jedoch häufig komplex, vor allem im Bestand, wo baulich komplexe Rahmenbedingungen vorliegen.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, braucht es eine anwendungsübergreifende, einfach integrierbare Dateninfrastruktur, die universell genutzt werden kann und die gesamten Energieflüsse eines Gebäudes vollständig erfasst. Nur so lassen sich neue Technologien effizient skalieren und ihr volles Potenzial ausschöpfen. Mit unserer Plattform erfassen wir sämtliche Energieflüsse (Strom, Wärme, Wasser und Gas) und schaffen so die Grundlage für eine Vielzahl weiterführender Anwendungen: Von der digitalen Integration dezentraler Erzeuger wie PV-Anlagen, Wärmepumpen und Batteriespeichern über das intelligente Flexibilitätsmanagement bis hin zur automatisierten Nebenkostenabrechnung und ESG-konformen Berichterstattung.
Welche technischen Hürden erleben Sie aktuell in der Umsetzung smarter Gebäudelösungen, zum Beispiel bei Schnittstellen, Datenintegration oder Skalierbarkeit?
Eine der größten Herausforderungen besteht derzeit darin, dass viele bestehende Lösungen stark auf den Strombereich fokussiert sind, während eine spartenübergreifende Integration, etwa von Gas, Wärme oder Wasser, weitgehend fehlt. Zudem mangelt es häufig an offenen Schnittstellen (APIs), was die Anbindung an Drittanbietersysteme deutlich erschwert. Viele Systeme basieren außerdem auf fragmentierten, nicht skalierbaren Technologien, die hohe Betriebskosten verursachen und sich kaum für komplexe Gebäudestrukturen wie Mehrfamilienhäuser eignen. Zusätzlich müssen diese Daten oft aggregiert und in virtuellen Datenmodellen weiterverarbeitet werden. Unsere Antwort darauf ist eine offene, skalierbare Smart-Meter-Plattform, die sich nahtlos in bestehende Systemlandschaften integriert und die Daten sparten- und anwendungsübergreifend nutzbar macht und veredelt als Grundlage für smarte, zukunftsfähige Gebäudelösungen.
Ihr Unternehmen setzt auf modulare, interoperable Lösungen. Wie wichtig ist Systemoffenheit für Ihre Arbeit und haben Sie ein Beispiel, wo Interoperabilität bereits heute funktioniert?
Sie ist absolut zentral. Nur durch Systemoffenheit und standardisierte Schnittstellen können Daten sinnvoll weiterverarbeitet und Mehrwerte für alle Akteure generiert werden. Wir setzen bewusst auf eine leicht zu integrierende, offene API, die auch den Wechsel zwischen Lösungsanbietern ohne Lock-In ermöglicht, etwa zur Anbindung an Abrechnungssysteme, Energiemanagement-Lösungen oder ESG-Tools. Ein Beispiel: Gemeinsam mit Partnern testen wir z. B. Use Cases zur Optimierung des Eigenverbrauchs, welche Speicher, PV-Stromerzeugung vor Ort und Wallboxen über Gebäude und unterschiedliche Lösungsanbieter hinweg integrieren.
Welche technologischen Impulse erhoffen Sie sich aus der Zusammenarbeit mit SmartLivingNEXT?
Als assoziierter Partner bei SmartLivingNEXT möchten wir gemeinsam mit den anderen Beteiligten aufzeigen, wie die digitale Integration neuer Energietechnologien in der Praxis gelingen kann, insbesondere durch eine zentrale Schnittstelle für Live-Verbrauchsdaten. Standardisierte Protokolle wie EEBUS sowie Schnittstellen wie CLS sind dabei zentrale technologische Bausteine. Durch die aktive Teilnahme an Pilotprojekten und die enge Kooperation mit der Wohnungswirtschaft schaffen wir in Bereichen wie Energy Sharing oder vernetzte Quartiere die Grundlage für neue, skalierbare Geschäftsmodelle.
Inwiefern können die Live-Daten von metiundo in einem domänenspezifischen Datenraum wie dem von SmartLivingNEXT integriert werden?
Die Live-Daten von metiundo zu Energie- und Wasserverbräuchen lassen sich gut in einen domänenspezifischen Datenraum wie SmartLivingNEXT integrieren. Zum einen ermöglichen sie einen sicheren und kontrollierten Informationsaustausch zwischen Gebäudebetreibern, Energiedienstleistern und Bewohnern. Vor allem aber schaffen sie die Grundlage, unsere Lösung nahtlos in ein umfassendes, interoperables Datenökosystem der Wohnungswirtschaft einzubetten. Dadurch entstehen neue, nutzerzentrierte und anwendungsübergreifende Use Cases, allen voran die Nutzung von Flexibilität, aber auch spartenübergreifende für Abrechnungs- und ESG-Reporting-Ansätze. Ebenso auch solche Use Cases, die heute vielleicht noch gar nicht absehbar sind, insbesondere in Hinblick auf die Ausprägung lokaler Energiegemeinschaften. So lassen sich nicht nur Prozesse effizienter und kostengünstiger gestalten, sondern auch das volle Potenzial von Gebäudedaten ausschöpfen. Unsere Live-Daten bilden dabei die notwendige Grundlage, ohne die diese Use Cases gar nicht umgesetzt werden können.
Welche konkreten Anwendungen sehen Sie für die Nutzung von Gebäudedaten, beispielsweise zur Steigerung der Energieeffizienz, zur Wartung oder für mehr Nutzerkomfort?
Ein besonders großes Potenzial liegt in der Nutzung von Flexibilitäten und einem intelligenten Energie- und Lastmanagement über Gebäudegrenzen hinweg. Wenn Photovoltaikanlagen, Ladesäulen, Heimspeicher und auch Endgeräte im Haushalt miteinander vernetzt sind und in Echtzeit auf Umwelt-, Verbrauchs-, Netz- und Preissignale reagieren, etwa durch zeitvariable Tarife oder Prognosemodelle, lässt sich die Energieeffizienz spürbar steigern. Gerade im Kontext aktueller Diskussionen über dynamische Netzentgelte und Energy-Sharing-Gemeinschaften gewinnt dieser Hebel weiter an Bedeutung.
Zudem sehen wir großes Potenzial in der differenzierten Energieoptimierung je nach Gebäudetyp, sei es im Gewerbe, im Hotel- und Logistikbereich, in Gesundheits- und kommunalen Einrichtungen oder in der Wohnungswirtschaft. Auch neue, datenbasierte Anwendungsfelder wie etwa dynamische Wassertarife eröffnen spannende Perspektiven für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit im Gebäudebetrieb.
Wie setzen Sie KI heute konkret ein und in welchen Bereichen sehen Sie weiteres Potenzial durch SmartLivingNEXT?
Derzeit analysieren wir gezielt den Einsatz von KI-gestützten Tools und evaluieren konkrete Anwendungsfelder. Im Kontext von SmartLivingNEXT sehen wir insbesondere großes Potenzial in KI-basierten Lösungen, die sektorübergreifend arbeiten und dabei kontinuierlich lernen, Energieflüsse intelligenter und effizienter zu steuern.
Abschließend: Wie sieht Ihre Vision für ein vernetztes, datenbasiertes Wohnen im Jahr 2030 aus?
Im Jahr 2030 sehen wir eine vollständig digitalisierte, vernetzte und selbstlernende Gebäudewelt, in der alle Verbrauchsdaten (Strom, Wärme, Gas und Wasser) intelligent miteinander ausgetauscht, miteinander kombiniert und für Optimierungsmaßnahmen gezielt ausgewertet werden. Diese Datenflüsse erstrecken sich nicht nur über einzelne Gebäude, sondern über ganze Quartiere hinweg. Eigentümer und Mieter behalten die volle Kontrolle über ihre Daten und profitieren spürbar: durch geringere Energie- und Prozesskosten, höheren Wohnkomfort, eine gesteigerte Immobilienwertigkeit und leisten somit einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Als wettbewerblicher Messstellenbetreiber und Messdienstleister verstehen wir uns bis dahin nicht mehr als reiner Dienstleister für Messung, sondern als digitaler Infrastrukturdienstleister und damit als Ermöglicher einer neuen, vernetzten Energiewelt im Gebäude.
Und was müsste bis dahin technologisch oder regulatorisch noch passieren?
Der Smart-Meter- und Steuer-Rollout in Deutschland muss nun deutlich an Fahrt aufnehmen. Wir sind zuversichtlich, dass dies gelingt, insbesondere jetzt, da zertifizierte Geräte am Markt verfügbar sind und zügig in den Einsatz gebracht werden können. Zwar wird häufig der langsame Fortschritt hierzulande kritisiert und mit anderen europäischen Ländern, etwa mit UK oder Italien, verglichen, wo der Rollout vermeintlich weiter fortgeschritten ist. Doch ein genauerer Blick zeigt: Auch in Großbritannien hat der Rollout viele Jahre in Anspruch genommen. Die verbaute Technologie in Italien ist alt und muss auch erneuert werden. Zudem erfüllen die in anderen Ländern eingesetzten Geräte technologisch nicht die netzseitigen Anforderungen, die ein digitales, zukunftsfähiges Energiesystem von volatilen erneuerbaren Energien stellen wird. Darüber hinaus braucht es eine stärkere Standardisierung der Schnittstellen sowie eine Beschleunigung der Prozesse zur Digitalisierung der Netze. Auf regulatorischer Ebene sind die Förderung von Energy-Sharing-Gemeinschaften, die Liberalisierung aller Sparten einschließlich Wasser sowie die Einführung dynamischer Netzentgelte wichtige Schritte.
Redaktion:
Ilka
Klein
Kategorie:
Leitprojekt
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