Frau Esser, der GdW hat als Konsortialpartner beim Vorgängerprojekt ForeSight eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Idee eines einheitlichen Zugriffspunktes auf alle relevanten Smart Living Daten und der damit verbundenen Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) in Wohngebäuden gespielt. Was war für Sie der ausschlaggebende Punkt sich mit Ihrem Verband daran zu beteiligen? 

Unsere rund 3.000 Mitgliedsunternehmen sind professionelle Betreiber von  Mehrfamilienhäusern. Damals wie heute sind Smart-Living-Lösungen technisch überwiegend auf Ein- und Zweifamilienhäuser zugeschnitten und für größere Wohnungsbestände wenig skalierbar. Mit unserer Beteiligung an ForeSight wollten wir aktiv dazu beitragen, das Bewusstsein und die technisch-organisatorischen Grundlagen für eine Gesamtbetrachtung von Mehrfamiliengebäuden zu schaffen. 

Wir brauchen miteinander vernetzte Daten und Systeme, die von der Aufzugsprüfung bis hin zur Beauftragung und dem Gebäudezutritt für den Handwerker einen kompletten Prozess abbilden. Besonders spannend fanden wir damals auch die Möglichkeit, den Einsatz von Kl in den Prozessen und Aufgaben der Wohnungsunternehmen zu testen. Die in der ForeSight Toolbox entwickelten Methoden und technischen Komponenten, Testdaten, exemplarische Use Cases und die Erfahrungen der Wohnungswirtschaft sowie der Bewohner im Test- und Realbetrieb sind jetzt wichtige Grundlagen für das Nachfolgeprojekt SmartLivingNEXT. 

Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse nach Abschluss des Forschungsprojekts ForeSight, die Ihnen in der Rückschau nützlich waren? 

Bei 17 Projektpartnern aus ganz unterschiedlichen Gewerken war es zunächst wichtig, ein gemeinsames Verständnis der jeweiligen Rollen, Möglichkeiten und Grenzen herzustellen. Der GdW hat in verschiedenen Arbeitspaketen die Perspektive der Wohnungswirtschaft in ForeSight eingebracht. Schnell wurde im Projektverlauf klar, dass die Wohnungswirtschaft im Regelfall nicht direkter Nachfrager einer Kl-Plattform werden würde, aber eine wichtige Zielgruppe darstellt. Eine wichtige Erkenntnis war, dass ein einheitlicher Datenraum sowie einheitliche Standards für Kl-Lösungen für Dienstleister als Lösungsanbieter der Wohnungsunternehmen enorme Chancen bieten. Wohnungsunternehmen befinden sich primär in der Rolle als mögliche Endkunden oder Mittler für deren Bewohner. Diese Erkenntnis ist zum aktuellen Zeitpunkt mit den Entwicklungen und Fortschritten der generativen KI nochmal zu überdenken. 

Konkret wurden beispielsweise die Zusammenarbeit verschiedener Branchenteilnehmer in den Anwendungsbereichen „Drohnenflüge“, „Digitaler Türpförtner“ oder „Energiemanagement“ elaboriert und bereits in echten Wohnumgebungen des Future Living-Gebäudekomplexes der GSW Sigmaringen in Berlin-Adlershof erprobt. Der GdW fokussierte sich bei den Anwendungsfällen dabei insbesondere auf rechtliche Aspekte sowie die Akzeptanz der neuen Technologien durch Mieterinnen und Mieter sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wohnungsunternehmen. Aus der Zusammenarbeit entstanden wertvolle Erkenntnisse zur praktischen Umsetzung der jeweils diskutierten Anwendungsfälle. Der GdW hat dies gemeinsam mit der GSW Sigmaringen in zwei Arbeitshilfen zum Thema „Einsatz von digitalen Zugangssystemen in Mehrfamilienhäusern“ und „Einsatzmöglichkeiten von Drohnen im Kontext der Wohnungswirtschaft“ dokumentiert. 

Sie sind nicht nur die Hauptgeschäftsführerin des GdW, sondern auch im Vorstand der Wirtschaftsinitiative Smart Living. Diese hat kürzlich eine Erklärung abgegeben, dass sie das auf ForeSight nachfolgende Technologieprogramm SmartLivingNEXT aktiv unterstützen will. Was erhofft sich die Wirtschaftsinitiative von dem neuen Technologieprogramm SmartLivingNEXT und warum ist es für Sie so wichtig? 

ForeSight hat wichtige Grundlagen für den Weg zu digitalen Wohnimmobilien geschaffen, ein umfassender Praxisbeweis steht noch aus. Kriterien für funktionierende Geschäftsmodelle wurden beschrieben, jedoch kein Modell umgesetzt. Von SmartLiving-NEXT erhoffen wir uns hier den nächsten, entscheidenden Schritt in Richtung praktische Umsetzung. Unser Fokus liegt dabei auch auf sechs Satellitenprojekten, die eigene Anwendungen, etwa aus dem Energie- und Pflegebereich, prototypisch umsetzen und erproben. Wir erwarten, dass die hier eingebrachten neuen Komponenten und Dienste die Anwendungsmöglichkeiten für andere Unternehmen erweitern und eine zunehmende Umsetzung in der Branche befördern. 

In SmartLivingNEXT geht es um ein universelles Ökosystem für digitale Services. Können Sie uns aus Ihrer Erfahrung Hinweise darauf geben, welche Services Ihrer Meinung nach von Mieterinnen und Mietern künftig nachgefragt werden und Potenzial für eine Digitalisierung aufweisen? Denken Sie dabei gerne auch an ganz neue Services, die es heute aus den verschiedensten Gründen noch gar nicht gibt, die aber mit der SmartLivingNEXT Technologie entstehen könnten. 

Die Wohnungswirtschaft hat immer zwei Fragestellungen im Blick: Erstens, wie kann Digitalisierung die Wohnungsunternehmen beim Gebäudebetrieb und einer dazu notwendigen Mieterkommunikation unterstützen, und zweitens, wie kann Digitalisierung über Mieterservices das Wohnerlebnis und die Wohnzufriedenheit der Bewohner steigern? Oft verweisen die Antworten auf zwei Seiten derselben Medaille. So tragen etwa smarte Heizkostenverteiler und Wasserzähler mit kontextualisierten Verbrauchsdaten in Echtzeit dazu bei, das Gebäude energieeffizienter zu steuern, wenn zum Beispiel zumeist ineffizient eingestellte Heizkurven angepasst werden. Mieter erhalten als Zusatzprodukt Transparenz über die Nebenkostenentwicklung auch im anonymen Vergleich zu anderen Mietern sowie sehr konkrete Handlungsempfehlungen etwa für die Heizungs- und Wassernutzung. Ein anderes Beispiel ist der intelligente Türpförtner, der den Gebäudezutritt für Handwerker & Co. frei von Schlüsseln vollkommen autonom ermöglicht, nachdem die am Aufzug installierte Sensorik eigenständig einen Auftrag zur vorausschauenden Instandhaltung vergeben hat. Konkrete Vorteile: Das Wohnungsunternehmen kann das Schlüsselmanagement vereinfachen und Kosten senken, der Mieter kann auch mit vollen Einkaufstaschen oder Gehhilfen problemlos ins Gebäude und in den Aufzug. 

Wenn Sie an den Bedarf Ihrer Mitgliedsunternehmen denken: welche Services wären konkret für die Wohnungswirtschaftsunternehmen interessant, um die tägliche Arbeit effizienter zu gestalten? 

Zentrale Bedeutung haben Anwendungen im Bereich Kundenservice. Die Erreichbarkeit für unsere Mieterinnen und Mieter und die Beschleunigung und Vereinfachung der damit verbundenen Aufgaben stehen derzeit absolut im Fokus unserer Mitgliedsunternehmen. Der schon erreichte hohe Digitalisierungsgrad beim Vermietungsprozess wird weiter zunehmen. Das gilt auch für neuere Anwendungen im Bereich Sektorkopplung wie die Verknüpfung der Heizungssteuerung mit dem Mieterstrommode. Zunehmend kommen Energiemanagement-Lösungen auch im Zusammenhang mit E-Ladesäulen zur Anwendung. Mieterportale/-Apps, die insbesondere bei größeren Wohnungsunternehmen weit verbreitet sind, werden künftig die Mieterkommunikation in der gesamten Branche dominieren. Bereits heute arbeiten einzelne Wohnungsunternehmen als „Pioniere“ an der Entwicklung von Lösungen mit Partnern aktiv mit. Beispiele sind Digitale Thermostate sowie Energiegenossenschaften. Es gibt auch zunehmende Kooperation mit PropTech-Unternehmen mit dem Ziel, bessere Produkte zu bauen und zu implementieren. Diese Aktivitäten werden zunehmen. 

Die Digitalisierung von Wohngebäuden schreitet aktuell nur langsam voran. Was meinen Sie ist die Ursache dafür und wie kann SmartLivingNEXT dazu beitragen, dass sich diese Entwicklung beschleunigt? 

In der Branche gibt es eine hohe Bereitschaft, mit guten Digital-Anwendungen neue Wege zu gehen. Dies bestätigt eine GdW Software-Umfrage vom April 2024 mit über 1.000 teilnehmenden Wohnungsunternehmen. Natürlich ist in vielen Bereichen noch Luft nach oben. Neben Lösungen für eine bessere Interoperabilität und einen rechtssicheren Datentausch erhoffen wir uns von SmartLivingNEXT vor allem politische Impulse.  

Konkret brauchen wir als Branche: 

  • eine rechtliche Erweiterung der Zweckbindung für die Verarbeitung von Daten aus fernablesbaren Ausstattungen zur Verbrauchserfassung, um den Energieverbrauch der Gebäude zu erfassen und eine zeitgemäße digitale Mieterkommunikation über die Energiekosten zu führen, 
  • die Anerkennung von digitalen Maßnahmen als umlagefähige Modernisierungsmaßnahmen — keine Einschränkung auf bauliche Veränderungen. Eine Umlagefähigkeit muss auch für digitale Gebäudetechnik (Gateways, Gebäudenetzwerke, Aktorik und Sensorik, digitalen Waren- und Postbereitstellungsanlagen) gelten,  
  • ein digitales Update für das Nebenkostenrecht, um auch den Betrieb der Smart-Living-Lösungen und Sensorik finanzierbar zu gestalten,  
  • eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) auf die Gebäudezähler für Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung,  
  • als Förderung eine Verstetigung des Förderprogramms „Altersgerecht umbauen“ (bisher keine Mittel für 2025!) und eine vor Ort umsetzbare Verzahnung mit dem 4.000-EUR-Zuschuss für Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen der Pflegeversicherung. 

In Bezug auf Mieter muss die Umsetzung der obigen Liste durch weitere Maßnahmen gesellschaftlich flankiert werden. Dazu zählen staatliche digitale Basisdienste auch für Vermietungs-/Verwaltungsprozesse. Die Identifizierung und Authentifizierung von Mietern sowie von Interessenten analog der Bund.lD gehört zu den Standard-Aufgaben in der Gesellschaft und den Unternehmen. Ferner wichtig ist ein digitaler Daten- und Informationsaustausch statt der Erstellung und dem Austausch von Dokumenten für Nachweise, Bescheinigungen oder Dokumentationen wie Wohnungsberechtigungsscheine und Wohnsitzanmeldung, etc.). Insgesamt brauchen wir eine digitale Stärkung der Kommunen als Partner von Wohnungswirtschaft und Bewohnern. 

Welche langfristigen Veränderungen in der Wohnungswirtschaft erwarten Sie durch die Implementierung von Smart-Living-Technologien? 

Die KI wird auch die Wohnungswirtschaft noch stärker erobern. Bereits heute gibt es eine Vielzahl von Angeboten in den Wohnungsunternehmen vom Kl-Klub über die Kl-Werkstatt bis „jeder darf testen“. Auch der GdW selbst wird künftig Kl für die Information seiner Mitglieder nutzen. Das ist in der Branche erst der Anfang. Zuerst werden Bots bei Servicehotlines größerer und mittelgroßer Unternehmen die physischen Mitarbeiter in den nächsten Jahren weitgehend ablösen. Physische Gesprächspartner gibt es dann nur für Spezialthemen. Für die Schadensbeurteilung von Fassaden und Dächern entwickeln sich Drohnen zur Standardtechnologie. Mit Mietern wird künftig die digitale Kommunikation über Plattformen bzw. Apps ebenfalls Standard sein. Jüngere Generationen sind dies schon heute gewohnt und erwarten dies auch vom Wohnungsunternehmen. Selbstverständlich wird Mietern im Einzelfall künftig immer noch ein „analoger Weg“ zur Verfügung stehen. Ich hoffe sehr, dass wir in einigen Jahren die derzeit bestehenden Hemmnisse der Digitalisierung aus dem Weg geräumt haben, die eine digitale Gebäudesteuerung rechtssicher und wirtschaftlich ermöglichen. Dies ist auch besonders dringend, weil uns die erforderlichen Fachkräfte schon heute fehlen und sich dies durch die Massenverrentung der „Boomer„Generation“ weiter verschärft. 

Frau Esser, wir danken Ihnen für das angenehme und ausführliche Gespräch! 

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Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der Bundesrepublik Deutschland Logo

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