„Die Entwicklung des nationalen Zugangspunkts für das SmartLivingNEXT Ökosystem ist für uns der wichtigste Aspekt im Projekt.“

10. Juni 2024

Lesedauer:

8 Minuten

Im Interview spricht Filip Milojkovic, Projektleiter bei Materna, über die Rolle des Unternehmens als Konsortialpartner des SmartLivingNEXT Leitprojekts, den nachhaltigen Aufbau eines SmartLivingNEXT Ökosystems und die Bedeutung des Dataspace Blueprints.

Filip Milojkovic - Materna

Herr Milojkovic, Sie sind bei Materna Projektleiter für das SmartLivingNEXT Leitprojekt. Welche Rolle nimmt Materna im Technologieprogramm ein?  

Materna arbeitet in drei großen Bereichen für das Leitprojekt von SmartLivingNEXT. Ziel der Entwicklung ist eine mobile App für Haushalte, eine Web App und – last but not least – ein nationaler Zugangspunkt für das digitale SmartLivingNEXT-Ökosystem. Diese Entwicklung ist für Materna der wahrscheinlich wichtigste Aspekt. Es entsteht eine einfache, sichere und herstellerübergreifende Datenverfügbarkeit und damit Kosteneffizienz in der Bereitstellung neuer Use Cases. Die Voraussetzung dafür sind mehrere technologische Bausteine, wie ein Dataspace Blueprint und ein IoT-Backend. Zusätzlich greifen wir auch auf Software-Komponenten aus der Gaia-X Referenzarchitektur zurück. 

Die mobile App dient der Energiekostentransparenz für Mietende in einem Mehrfamilienhaus. Die App wird auch Energiespartipps sowohl für die Heizwärme als auch für den Stromverbrauch zeigen, abgestimmt auf die individuelle Situation. Aber auch für Vermieter ist die mobile App interessant, wenn es um Mieterstromprojekte geht, in denen der Vermieter als Stromhändler auftritt und den regenerativ produzierten Strom vom Dach aus der Photovoltaik-Anlage an die Mietenden verkauft. Solche Projekte machen die Energiewende im Wohnungsbestand und im Neubau auch für Mietende attraktiv.

Hinter der Web-App verbirgt sich ein Energieeffizienz-Datenportal. Mithilfe des Webportals lassen sich Szenarien zur Optimierung von Treibhausgasemissionen entwickeln. Zudem können Vermieter einen mehrjährigen kosten- und energieeffizienten Sanierungsplan für ihre Gebäude entwickeln. Über das Portal können Vermieter auch Daten freigegeben, die beispielsweise für kommunale Akteure in der Wärmeplanung hilfreich sind. Das Ökosystem schafft digitale Schnittstellen zwischen Kommunen, Energieversorgern und der Wohnungswirtschaft.

Der Aufbau des SmartLivingNEXT Ökosystems ist eine komplexe Aufgabe, die sich wahrscheinlich auch nach der dreijährigen Förderlaufzeit durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hinausstreckt. Sie legen mit Ihrem Team die technologischen Grundlagen wie beispielsweise den SmartLivingNEXT Dataspace, auf die anderen Projekte für die Entwicklung ihrer Use Cases aufsetzen können. Was muss darüber hinaus noch erfolgen? 

Um ein nachhaltiges Datenökosystem aufzubauen, das nach Gaia-X-Prinzipien funktionieren kann, muss auch ein rechtliches Konstrukt geschaffen werden. Die Idee, die wir mit unseren Partnern aus dem Leitprojekt diskutieren, sieht einen sogenannten Datenraum e.V. für das SmartLivingNEXT Ökosystem vor. Er hat drei wesentliche Rollen. Da sind zunächst die Mitglieder. Sie definieren die Regeln für die Governance des Ökosystems. Als Zweites gibt es einen Datentreuhänder. Dieser organisiert und schließt Verträge zur Datenbereitstellung, zur Datennutzung und zur wirtschaftlichen Verwertung der Daten. Im Auftrag der Mitglieder beruft der Datentreuhänder schließlich einen oder mehrere technische Dienstleister, sogenannte Föderatoren. Diese betreiben den technischen Datenraum. Sie konsultieren die Daten-Provider und stellen die Umsetzung von Verträgen durch technische Lösungen sicher. 

Die Mitglieder definieren die Basis-Services, also Datenweiterverarbeitungen, die innerhalb des Datenraum e.V. bereitgestellt und die auch als Open Source-Komponenten bezogen werden können. Der Datenraum e.V. stellt sicher, dass sich Daten- bzw. Serviceangebote ausweisen und darstellen können und in einem föderierten Katalog aufgeführt werden können. Weitere Mitglieder im Datenraum e.V. sind sogenannte Provider oder auch Dateninhaber. Das sind beispielsweise Energielieferanten, IoT- oder Messdienstleister, Heizungsbetreiber, Hersteller von weißer Ware oder auch aus Automationssystemen. 

Die Regeln innerhalb des Datenraum e.V. orientieren sich an den Prinzipien und dem Rollenverständnis in Gaia-X, das Umsetzungsbeispiele liefert. Alles, was außerhalb des Datenraum e.V. passiert, orientiert sich an der geltenden Gesetzgebung wie DSGVO, EU Data Act und EU Governance Act. Diese regeln die Interaktion mit Nutzern und Resource Ownern, wie beispielsweise Mietende, Techniker in der Wohnungswirtschaft, kommunale Spieler, Serviceanbieter oder Endnutzer.

Das klingt nach einem durchdachten Ansatz für den Aufbau des SmartLivingNEXT Ökosystems. Was können Interessenten tun, um Teil dieses Ökosystems zu werden? 

Während der Förderphase, die noch bis August 2026 reicht, sollte man assoziierter Partner bei SmartLivingNEXT werden. Unsere Partner erhalten aus erster Hand Informationen über unsere Arbeit, können an Generalversammlungen und verschiedenen Sitzungen teilnehmen. Damit erhalten Sie einen Wissensvorsprung und können sich auf die Teilnahme am SmartLivingNEXT Ökosystem ausreichend vorbereiten.

Um nach der Förderphase von Interessenten zu Teilnehmenden im SmartLivingNEXT Ökosystem zu werden, können wir uns heute sechs Schritte vorstellen. Der erste Schritt ist ein sogenanntes kaufmännisches Onboarding. Dabei wird sichergestellt, dass Interessenten alle Anforderungen erfüllen, die eine Mitgliedschaft im Datenraum e.V. mit sich bringt. Es wird ein Vertrag unterschrieben beziehungsweise im Forschungsförderkontext die assoziierte Partnerschaft eingereicht bzw. angemeldet. 

Als zweites ist es wichtig, dass Datenbestände oder auch Services semantisch aufbereitet werden. Das heißt, dass Datenbestände in eine maschinenlesbare Sprache übersetzt werden, die auch andere Partner sprechen. Dabei hilft der Dataspace Blueprint, der genau diese Prozesse fokussiert und umsetzt. Das heißt, viele vorhandene IoT-Backends oder Datenbestände sind als Input nutzbar, durchlaufen die Prozesse im Blueprint und werden auf der anderen Seite als semantisch aufbereitete, sogenannte Things, auch in einem föderierten Katalog darstellbar sein. 

Der dritte Schritt ist ein technisches Onboarding in die Gaia-X Services. Das bedeutet, Trust Prozesse werden durchlaufen. Service-Provider erhalten ein Zertifikat und eine Identity, mit der sie sich gegenüber anderen Teilnehmern ausweisen. Als nächstes folgt die Einrichtung von Konnektoren. Aktuell arbeiten wir mit den Prototypen des Eclipse Data Space Connectors, den wir für unsere Zwecke anpassen und für das Ökosystem entwickeln.

Danach wird die Repräsentanz eines Services oder Datenbestandes im föderierten Katalog eingetragen. Dieser Katalog wird nach außen hin mehr oder weniger öffentlich sichtbar sein; natürlich nicht die darin enthaltenen Daten, sondern lediglich das Serviceangebot. Sie zeichnen das Bild, das SmartLivingNEXT nach außen darstellt. Als letzter Schritt wird dann eine Datenverbindung zwischen zwei Eclipse Data Space Connectors aufgebaut. Diese beiden Konnektoren verhandeln den Zugriff auf darunterliegende Daten. Sie handeln einen Vertrag aus, also beispielsweise wie lang oder in welchem Umfang Daten übertragen werden können. 

Sie erwähnten den Dataspace Blueprint, der dabei unterstützt, Datenbestände semantisch zu beschreiben. Worum genau geht es dabei? 

Es gibt bereits zahlreiche, teilweise proprietäre, teilweise auf großen Hyperscalern basierende IoT-Backends und auch unzählige Devices. Die Herausforderung ist, diese IoT-Backends und die Daten aus diesen IoT-Backends so aufzubereiten, dass sie für alle Beteiligten auffindbar sind. Der wesentliche Punkt, warum wir einen Dataspace Blueprint brauchen, ist also weniger die Datenhaltung selbst. Wir benötigen vielmehr eine Lösung, die Daten semantisch anzureichern und ein Zugangs- bzw. Zugriffskontrollsystem zu schaffen, das die selektive Freigabe und dann auch Übermittlung von Daten ermöglicht. 

Für das SmartLivingNEXT Ökosystem entwickeln wir einen föderierten Katalog, in dem Services, Datenpakete sowie einzelne Sensoren und ihre Telemetrie- und Messdaten in etwas höherer Frequenz, auffindbar gemacht werden. Erst dann lassen sich Services aus Sicht eines Service-Providers anbieten. Hierfür orientieren wir uns an den Gaia-X-Prinzipien. Das heißt, wir ermöglichen einen offenen, souveränen und vertrauensvollen Austausch zwischen anonymen Teilnehmern. Trotz Anonymität basiert der Austausch auf einem ausgefeilten System an Zertifikaten und Identitäten.

Herr Milojkovic, wir bedanken uns für das Gespräch.

Artikel im Audio-Format:

Redaktion:

Maximilian

 Metzner

Kategorie:

Leitprojekt

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