„Mit SmartLivingNEXT stellen wir die Weichen für die zukünftige Wertschöpfung datengetriebener Geschäftsmodelle in der Gebäudetechnik.“

20. Dezember 2023

Lesedauer:

9 Minuten

Im Interview erklärt Michael Schidlack, Konsortialleitung des Leitprojekts, warum jetzt die Zeit intelligenter Gebäude gekommen ist, wie der Aufbau eines universellen Datenökosystems für Smart Living realisiert werden soll und was sich bei SmartLivingNEXT im Vergleich zum Vorgängerprojekt ForeSight alles geändert hat.

Michael Schidlack im Interview über den Aufbau eines universellen Datenökosystems für Smart Living

Herr Schidlack, viele Menschen haben ihr Zuhause bereits als „Smart Home“ eingerichtet. Der Sprung zu „Smart Living“ ist aber in den allermeisten Wohneinheiten noch nicht vollzogen. Welche Gründe hat das und was muss passieren, damit mehr intelligente Wohngebäude entstehen?  

Unter Smart Home verstehen wir die Vernetzung von privaten Geräten, die sich innerhalb der Wohnräume befinden, während Smart Living viel weiter geht. Darunter fällt zum Beispiel auch die Technik, die sich in der Gebäudehülle befindet. Der Zugriff auf die Daten, die dort anfallen, ist herstellerspezifisch. Daher fließen diese Daten oft in sogenannte Datensilos, wo sie nur mit großem, gebäudeindividuellem Aufwand zusammengeführt werden können. Bis so ein Gebäude „smart“ werden kann, ist viel Handarbeit und sehr tiefes Know-how erforderlich. SmartLivingNEXT vereinfacht diesen Prozess des Zusammenführens der Daten und damit auch die Kosten eines intelligenten Wohngebäudes drastisch. Sind sie erstmal zusammengeführt, können darauf aufbauend viele neue Services entstehen. Diese können dann standardisiert entwickelt werden und in allen Gebäuden unabhängig von der herstellerspezifischen Ausstattung zum Einsatz kommen. Das macht auch die Anwendungen selbst kostengünstiger.   

Mit SmartLivingNEXT soll also das erste universell nutzbare, anbieterunabhängige Smart-Living-Ökosystem entstehen, das Smart-Living-Daten zusammenführt und für intelligente Dienste und Anwendungen verfügbar macht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz investiert hier 25 Millionen Euro. Wieso macht ein solches Forschungsvorhaben gerade jetzt Sinn?  

Die deutsche Elektroindustrie ist sehr stark, gerade im internationalen Vergleich. Insbesondere bei der Gebäudetechnik gehören viele deutsche Anbieter zu Weltmarktführern. Das Geschäftsmodell der Gebäudetechnik ändert sich allerdings gerade. Ähnlich wie bei anderen Segmenten, z.B. bei Mobilität, spielen die verfügbaren Daten eine immer größere Rolle, sie werden mitunter sogar die Geschäftsmodelle dominieren. Damit die Weltmarktstellung der deutschen Industrie erhalten bleibt, müssen wir reagieren, da sonst die Wertschöpfung durch datengetriebene Geschäftsmodelle an anderer Stelle entsteht. Mit dem SmartLivingNEXT Ansatz ist eine passgenaue Antwort auf diese Situation – auch im Kontext des EU Data Act – gefunden und dafür ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Mit der Idee des geteilten Datenraums für Smart-Living-Anwendungen sind wir tatsächlich einen Schritt voraus.

Damit ein Smart-Living-Ökosystem entstehen kann, müssen zuerst einmal die technologischen Grundlagen geschaffen werden. Durch die großen Hyperscaler liegt die Messlatte hier besonders hoch. Wie wollen Sie diese Mammutaufgabe lösen?  

Es gibt bei SmartLivingNEXT einen wesentlichen Unterschied zu den üblichen Geschäftsmodellen von großen Plattformen: die Wertschöpfungspotenziale durch Daten und deren Kontrolle verbleibt beim Datenlieferanten. Es gibt keinen dominanten Plattformbetreiber sondern einen gleichberechtigten Datenaustausch. Das gilt insbesondere auch als Chance für KMUs. Zudem ist SmartLivingNEXT kein Einzelprojekt. Im Europäischen Raum herrscht Konsens zu diesem Prinzip. Dieser Konsens heißt GAIA-X und dies ist eine Initiative für ein europäisches und viele Domänen umfassendes digitales Ökosystem, in das wir uns einbetten wollen. Die Mammutaufgabe wird also auf viele starke Schultern mit marktführenden Organisationen und auf die besten Köpfe der Forschung verteilt. Sie alle unterstützen diesen technologischen Pfad.  

Im Smart-Living-Datenökosystem werden Daten geteilt, statt preisgegeben. Michael Schidlack, Konsortialleitung im SmartLivingNEXT Leitprojekt, sieht hier noch Aufklärungsbedarf der Markpartner.
Im Smart-Living-Datenökosystem werden Daten geteilt, statt preisgegeben. Michael Schidlack, Konsortialleitung im SmartLivingNEXT Leitprojekt, sieht hier noch Aufklärungsbedarf der Markpartner.

Weitere Herausforderung ist, dass genügend Daten im SmartLivingNEXT Dataspace vorhanden sind. Sie sind der Rohstoff, durch den das neue Smart-Living-Ökosystem attraktiv für Unternehmen werden soll und durch den neue intelligente Dienste entstehen können. Bei der Preisgabe von Daten sind Unternehmen wie Mietende bisher aber eher konservativ. Wie überzeugen Sie die Projektteilnehmer ihre Daten zu teilen? 

Menschen neigen dazu, Vergleiche mit Dingen, die sie bereits kennen, anzustellen. Das ist verständlich, aber wir reden bei SmartLivingNEXT tatsächlich über einen völlig neuen Ansatz. Wir hören oft: “Wir geben unserer Daten nicht preis”. Damit sind aber falsche Vorstellungen über das Projekt verbunden. Hier müssen wir besser aufklären. Wenn wir über SmartLivingNEXT sprechen, dann reden wir nicht über die Preisgabe, sondern das Teilen von Daten. Da gibt es einen wichtigen Unterschied. Preisgabe bedeutet, die Kontrolle zu verlieren, Daten zu verschenken. Das Datenteilen hingegen geschieht unter der vollen und jederzeitigen Kontrolle der jeweiligen Marktpartner. Diese und nicht die Plattform entscheiden, wem sie die Daten zur Verfügung stellen und wem nicht. Sie entscheiden auch über die Geschäftsmodelle aus ihren Daten und was ansonsten damit geschieht. Dieser Zugriff bzw. die Zustimmung zur Verwendung kann jederzeit wieder zurückgezogen werden. Die Daten können bei SmartLivingNEXT in den jeweiligen Ursprungssystemen verbleiben. Sie müssen nicht physisch “weggegeben” werden. Die Daten liegen somit auch nicht notwendigerweise in einer riesigen Cloud. Das System weiß lediglich, wo die Daten liegen und kann bei Bedarf die Verbindung herstellen, aber nur wenn es dazu von den datenaustauschenden Partnern autorisiert ist. Auch dieses Wissen darüber ist nicht exklusiv. Es kann Wettbewerb geben zwischen den Betreibern von diesen Plattform-Services. Das sollte eigentlich für sich sprechen, es muss nur ausreichend bekannt sein. 

SmartLivingNEXT baut auf bereits vorliegenden Ergebnissen des vom BMWK geförderten Plattformprojekts ForeSight auf, bei dem Sie neben Anke Hühneburg (ZVEI) die Konsortialleitung waren. Nun sind Sie im SmartLivingNEXT Leitprojekt erneut in dieser Rolle. Was haben Sie aus dem Vorgängerprojekt gelernt und inwiefern fließen Ihre Erkenntnisse in das neue Fördervorhaben ein?

ForeSight hat die Grundlagen erarbeitet. Wir haben im Vorprojekt gezeigt, dass es technisch möglich ist, einen geteilten Datenraum für Smart-Living-Daten zu errichten, die notwendigen Tools dazu zusammengestellt, entwickelt und auch schon Daten verschiedenster Ursprungssysteme zusammengeführt. Wir hofften damals, dass es ausreichend ist, die technischen Grundlagen zu erarbeiten, um Interesse vom Markt zu erhalten. Es hat sich jedoch gezeigt: wir waren unserer Zeit voraus. GAIA-X entstand ein Jahr später, nämlich 2020, also erst nach unserem Projektstart. Im Nachfolgeprojekt werden wir stark von dieser Initiative profitierten und die besten Elemente aus diesem europäischen Vorhaben in unser Projektdesign integrieren. Dazu gehört zum Beispiel auch das Mitdenken einer geeigneten und auch marktorientierten Governancestruktur und der verstärkte Abgleich der Marktbedürfnisse der Partner. Für diese Aufgabe haben wir im Folgeprojekt eigens einen dezidierten Partner integriert, die LMU in München. Des Weiteren haben wir die Organisation optimiert und neue Formate der Zusammenarbeit zwischen den Partnern aufgestellt. Äußert hilfreich ist auch der neue Förderansatz des BMWK, der jetzt nicht nur die Weiterentwicklung der Kerntechnologie fördert, sondern auch sogenannte Satellitenprojekte, die für das SmartLivingNEXT Ökosystem geeignete Anwendungen erforschen. So bekommen wir gleich zum Projektstart eine ganz andere Flughöhe und Marktdurchdringungspotenziale. Kurzum: das alles wird die Nachhaltigkeit steigern und den Projekterfolg absichern.

Bei SmartLivingNEXT geht es auch darum, im internationalen Wettbewerb die Nase vorn zu behalten und der deutschen Wirtschaft eine gute Ausgangslage zu bieten, um vom Zukunftsmarkt Smart Living zu profitieren. Sprich: es müssen in Zukunft mehr intelligente Wohngebäude entstehen. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass durch SmartLivingNEXT dieses Ziel erreicht wird? 

Mit dem neuen Projektdesign sind die Chancen sehr gut. Wir haben alle relevanten Stakeholder integriert, nicht nur Hersteller, sondern auch Utility-Provider, die Wohnungswirtschaft sowie KMUs, die Anwendungen programmieren. Alle Projektteilnehmer sind sich einig, dass der Ansatz, den SmartLivingNEXT geht, der richtige ist. Dadurch dass wir auch von vornherein eine nachhaltige Marktperspektive berücksichtigen, bestätigen uns mehr und mehr Branchenkenner die Nachhaltigkeitsperspektive des Projekts. Ich bin sicher: wir werden hier ein Fundament legen, auf dem nach Ende der Förderphase ein solides, in sich tragfähiges Smart-Living-Ökosystem entstehen kann. 

Artikel im Audio-Format:

Redaktion:

Maximilian

 Metzner

Kategorie:

SmartLivingNEXT

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